Schweden und Finnland haben beschlossen einen Beitrittsantrag zur NATO zu stellen. Damit hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht nur in Deutschland eine Zeitenwende eingeläutet. Nach Jahrzehnten der Bündnisneutralität, ist in der Bevölkerung der beiden nordischen Länder die Zustimmung stark gestiegen, in Finnland sogar auf über 70 %.

Ein Ziel von Putins Angriff war es zu verhindern, dass die NATO mit der Ukraine ein weiteres Mitglied erhält. Nun schließen sich andernorts wohl gleich zwei neue Staaten dem Verteidigungsbündnis an – ein erneutes Zeichen für die Einigkeit des Westens im Angesicht der russischen Aggression. Jeder Schritt, der es Putin erschwert, diesen Krieg zu gewinnen, ist erstmal begrüßenswert. Natürlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass der NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens ein gewisses Eskalationspotenzial beinhaltet und die NATO damit eine über 1300 km lange Grenze mit Russland erhält. Doch auch die Vorteile liegen klar auf der Hand. Die NATO profitiert von einer Verstärkung ihrer Fähigkeiten und Kapazitäten, die besonders die hochmoderne finnische Armee, aber auch die Schweden mitbringen. Ein Beitritt würde auch zu einer verstärkten geographischen Absicherung des Bündnisses führen, da somit ganz Nordeuropa Teil der NATO wäre. Umgekehrt profitieren die beiden Länder von der Abschreckungswirkung und natürlich der Beistandspflicht gemäß Artikel 5 der NATO.

In Bezug auf die Europäische Union stellt sich die Frage, was der NATO-Beitritt zweier ihrer Mitglieder für die gemeinsame Verteidigungspolitik bedeutet. Möglicherweise könnte die Position der EU gegenüber der NATO gestärkt werden. Natürlich geht es dabei aber nicht um ein Gegeneinander. Im Gegenteil! Ich setze mich seit Beginn meines Mandats für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO und einen Ausbau der europäischen Verteidigungsfähigkeiten ein. Dieser muss in Ergänzung zur NATO geschehen, nicht in Konkurrenz. Gleichzeitig wäre es aber falsch von der EU, sich in Zukunft auf die USA als Schutzmacht zu verlassen. Das haben besonders die Trump-Jahre gezeigt. Es ist höchste Zeit, dass die EU eine eigenständige Verteidigungspolitik entwickelt. Dabei ist es wichtig, dass wir die EU-interne Koordination verbessern und Redundanzen abstellen. Im Jahr 2020 lagen die Militärausgaben der EU bei 198 Mrd. Euro (was gut 200 Mrd. US-Dollar entspricht). Damit waren wir nach den USA (778 Mrd. US-Dollar) und China (geschätzt 252 Mrd. US-Dollar) weltweit auf Platz drei. Es ist inakzeptabel, dass der Zustand der europäischen Verteidigungsfähigkeiten bei einem solchen Budget so mangelhaft ist. Das rührt auch stark von einer fehlenden Einsatzbereitschaft einiger Mitgliedsstaaten. Diese können wir uns jedoch nicht mehr leisten. Entscheidend ist, dass sich jetzt alle EU-Mitgliedsstaaten zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bekennen und die EU einen einheitlichen Ansatz verfolgt. Ein möglicher NATO-Beitritt von Finnland und Schweden kann dabei vielleicht einen Motivationsschub bringen.

Die finnische und schwedische Neutralität war in Teilen auch dadurch motiviert, die russische Regierung nicht zu verärgern. Doch Putin hat jeden Anschein aufgegeben, mit dem Westen kooperieren zu wollen oder den westlichen Wertekanon zu teilen. Umgekehrt bedeutet das für uns, dass wir uns unsere Politik nicht mehr aus Moskau diktieren lassen oder unangebrachte Rücksicht auf russische Befindlichkeiten nehmen müssen. Ein NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens wäre ein starkes Signal für westliche Geschlossenheit und die Verteidigung unserer wertebasierten Gesellschaft.