Am 16. März 2022 beschloss die Bundesregierung vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine weitreichende Maßnahmen, um die brüchige Resilienz der Bundeswehr wiederaufzubauen. Der bekannteste Inhalt des Beschlusses der Bundesregierung ist das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro sowie eine künftige Einhaltung des 2%-Ziels der NATO, um die Truppe mit einem beispiellosen Budget zu unterstützen. Dieser Schritt kam sicherlich überraschend, schließlich zählte Deutschland zu den NATO-Staaten, die sich in der Vergangenheit mit nur wenig Priorität der Aufrüstung ihrer Streitkräfte gewidmet haben, aber ein Angriffskrieg auf europäischem Boden beschleunigte in vielen Mitgliedsstaaten die lange vernachlässigte Verteidigungspolitik.

Im Bundeskanzleramt trafen sich nun hochrangige Vertreter der Rüstungsindustrie und die zuständigen Spitzenbeamten, um über ein verteidigungspolitisch wichtiges Thema zu reden: die Munitionsknappheit der Truppe. Bereits in den vergangenen Monaten resümierten Experten, dass der aktuelle Munitionsbestand lediglich für wenige Tage reiche, der Bundeswehrverband spricht von einem akuten Bedarf in Höhe von 20 bis 30 Milliarden Euro. Gerade aus den Reihen der Bundeswehr kommt scharfe Kritik an der jetzigen und der vergangenen Regierung, denn die Probleme seien seit Jahren bekannt, hätten bislang aber nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen.

Hinzu kommt beispiellose Augenwischerei seitens der Bundesregierung, denn trotz des großangekündigten Sondervermögens wird der Wehretat im kommenden Jahr um knapp 300 Millionen Euro verringert. Welchen Zweck soll das Sondervermögen also erfüllen, wenn es zum einen durch die Inflation nur eine Kaufkraft von etwa 85 Milliarden Euro besitzt und zum anderen an anderer Stelle wieder weggenommen wird? Vertreter der Rüstungsindustrie äußerten bei dem Gipfel im Kanzleramt wohl, dass die Kapazitäten für einen sofortigen Produktionsstart von Munition vorhanden seien, es fehlen bislang Rahmenverträge und verständlicherweise die Bereitschaft der Rüstungsunternehmen, für die desolat geführte Bundesregierung in Vorkasse zu gehen.

Das sind jedoch nicht die einzigen Probleme, die einen zügigen Start der Produktion verhindern. Hinzu kommt eine fatale Abhängigkeit in den für die Munitionsherstellung relevanten Lieferketten. Besonders im Fokus steht ein unscheinbares Nebenprodukt aus der Baumwollstofferzeugung, das für die Herstellung von Munitionstreibladungen benötigt wird, sogenannte Linters. Diese werden nahezu vollständig in China produziert, womit Peking einen direkten Einfluss auf die europäische Rüstungsindustrie hat. Schon während der Pandemie wurde der Linters-Import in die EU stark verringert, die Vorlaufzeit habe sich mindestens verdoppelt. Der Export dieses für die Rüstungsindustrie essentiellen Rohstoffes ist ein unbeschreiblicher Trumpf für die chinesische Regierung, denn wenn sich der autokratisch regierte Staat weigert, Linters in die EU zu liefern, könnte er die Verteidigungsfähigkeit des Westens systematisch behindern und das, ganz ohne zur Waffe zu greifen.

Es gehört zu den maßgeblichen Versäumnissen der jetzigen, sowie der Merkel-Regierung, dass wir uns nun in dieser verteidigungspolitisch nicht hinnehmbaren Lage befinden. Wir sind vollends abhängig von einem autokratischen Regime, das sich mit Moskau verbrüdert und dessen Ziel es ist, die westliche Weltordnung sukzessive zu seinen Gunsten zu verschieben. Es ist dringend geboten, dass die nötigen Verträge zwischen Staat und Rüstungsindustrie auf Basis der Bedarfslisten geschlossen werden und man sich eine pragmatische Lösung für das Rohstoffproblem überlegt. Es geht um nicht weniger als die Verteidigungsfähigkeit Europas gegenüber neoimperialistisch agierenden Regimen wie in China und Russland und diese sollte höchste Priorität genießen. Es gilt nun, auf EU-Ebene eine Lösung unter Mitgliedsstaaten zu finden und sich künftig resilienter im Bereich der Rüstungsindustrie aufzustellen.