Rohstoffreserven für mehr strategische Autonomie

Die geopolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre haben uns äußerst schmerzlich die Verwundbarkeit unserer globalen Lieferwege und Abhängigkeiten von Importen vor Augen geführt. Es zeigte sich, dass die EU abhängig (und damit erpressbar) ist von Regierungen, die teilweise über einen mehr als fragwürdigen Ruf bezüglich Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte verfügen und die keine Skrupel hatten und haben, die westliche Abhängigkeit für den eigenen Vorteil auszunutzen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine zeigte wie wenige Ereignisse zuvor die Notwendigkeit, dass sich die EU im Bereich Rohstoffe deutlich autonomer aufstellen muss.
Öl und Gas rückten in diesem Zusammenhang besonders in den Fokus der Politik mit teilweise deutlich spürbaren Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bürger in der EU. Die geografischen Vorkommen von Rohstoffen, lassen sich nicht verändern. Die eigene Abhängigkeit und die damit verbundene Erpressbarkeit ließen sich aber durch das Vorhalten von Reserven zumindest verringern. Bereits seit 2009 schreibt eine EU-Richtlinie den Mitgliedstaaten verpflichtende Mindestmengen and Erdöl und Erdölprodukten vor, nämlich mindestens 90 Tage der Netto-Ölimporte. Bei Gas zog die EU 2022 mit einer Richtlinie nach. Seit 2023 müssen die unterirdischen Gasspeicheranlagen vor Beginn des Winters zu 90 % gefüllt sein. Blickt man auf das aktuell vielerorts in der EU proklamierte Ziel der strategischen Autonomie geht es aber natürlich um deutlich mehr als diese beiden Rohstoffe. Mit dem Critical Raw Materials Act zeigte die EU, dass sie sich dessen bewusst ist und definierte eine Reihe von Rohstoffen als kritisch. Ausgemachte Ziele des Gesetzes sind die Diversifizierung der Rohstoffversorgung, eine Stärkung der Kreislauffähigkeit und besseres Recycling sowie Unterstützung von Forschung und Innovation. Diese Ziele sind sinnvoll und weisen in die richtige Richtung. Das Vorhalten von Reserven dieser Rohstoffe schreibt das Gesetz jedoch nicht vor. In anderen Ländern wie z.B. den USA sieht das anders aus, wo im National Defense Stockpile Reserven von 42 Rohstoffen vorgehalten werden. Jedoch werden selbst diese Reserven als gering eingeschätzt. Mit Stand April 2023 würde der aktuelle Bestand in einem nationalen Notfall z. B. nur weniger als die Hälfte der geschätzten Engpässe bei strategischen und kritischen Materialien für den militärischen Bedarf und weniger als 10 % der wesentlichen zivilen Nachfragedefizite abschwächen.
Es kann festgehalten werden, dass die europäische Abhängigkeit von Rohstoffimporten auch trotz einiger Öl- und Gasreserven in den Mitgliedstaaten und dem Critical Raw Materials Act größer bleibt als sie sein müsste — nicht zuletzt, weil auch weitere als die hier genannten Rohstoffe relevant sein könnten, um die Energieversorgung und die Ressourcensicherheit in der EU sicherzustellen. Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt ist die der Zuständigkeit für die Reserven. Man könnte durchaus argumentieren, dass es in einem gemeinsamen Markt sinnvoll wäre, dass das Vorhalten von relevanten Rohstoffen durch die EU wahrgenommen wird. Der Ukraine-Krieg hat immerhin gezeigt, dass sich Versorgungsschwierigkeiten eines Mitgliedslandes schnell auch auf andere auswirken können. Eine zentrale Zuständigkeit könnte einem solchen Effekt vorbeugen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt solcher Rohstoffreserven könnte sein, dass durch antizyklische Ankäufe die Preisschwankungen bei den entsprechenden Gütern sinken könnten.
Die EU ist weiterhin in dem Prozess, geopolitisch Laufen zu lernen und bis zur tatsächlichen strategischen Autonomie hat sie noch einen weiten Weg vor sich. Es bleibt zu hoffen, dass sie dabei bereit ist, Verantwortung für die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu übernehmen. Das Vorhalten größerer Rohstoffreserven könnte ein Mosaikstein dazu sein.